Warum Ziehen und Quetschen nichts bringt

Pferde haben 35.000 Geschmacksknospen

(Menschen nur 9000) und können den Druck einer Nylonfaser, die ein Tausendstel Gramm wiegt, am Widerrist wahrnehmen. Das ist das Gewicht von drei Sandkörnern.

Quelle: Janet L. Jones: Horse Brain – Human Brain

Pferdetraining zum Wohle des Pferdes“ möchte das nicht jeder? Ja und nein. Während die Zahl an bewussten ReiterInnen und AusbildnerInnen unterschiedlichster Reitweisen zwar stetig steigt, halten sich gewisse Dogmen in der Reiterei leider eisern. Angefangen vom militanten Reitunterricht der mit befehlsartigen Anweisungen zum „mitschwingenden“ Reitersitz führen soll, bis zu Irrtümern, wie dass Pferde dann „gegen den Zügel gehen“ wenn man noch zu wenig kräftig vorne gezogen und hinten gedrückt hat.

Zum Wohle des Pferdes reiten lehren und Pferde ausbilden meint als TrainerIn den Reiter und das Pferd in seiner Gesamtheit zu sehen und danach zu handeln.

Also die Tagesverfassungen, Vorgeschichten, Körperproportionen, erworbenen Talente, Zusammenhänge einzelner Aspekte, ja sogar das Bewusstsein darüber, dass man einfach nicht alle Hintergründe kennen kann, sollten in jedem gesetzten Impuls miteinbezogen werden. Ein hoher Anspruch möchte man vielleicht meinen – aber sollte dieser nicht überall gelten wo man mit Lebewesen arbeitet?

Aufgrund von Bewegungsmangel, der meist auch in der besten Trailhaltung,  verglichen mit der Natur, herrscht, ist es in diesem Sinne ist es auch unsere Aufgabe, Kraft und Balance beim eigenen Pferd ausbilden, damit es das schwankende Reitergewicht in allen Wendungen und Geschwindigkeiten optimal ausbalancieren kann oder wenn es nicht geritten wird, bis ins hohe Alter fit bleiben kann. Vielleicht gut, sich hier bewusst zu machen, dass es bei diesem Prozess um das geht, was man einmal mit Versammlung benannt hat und eben nicht Herausziehung oder Herausquetschung. Versammlung, sich sammeln – also sich zentrieren.

Sich Sammeln, etwas das durch eine innere Haltung oder einen äußeren Impuls angeregt wird, in jedem Fall aber die Aufmerksamkeit konzentriert nach innen lenkt. Genau ausgewählte Übungen bewirken beim Pferd die Stärkung der rumpfnahen Muskulatur statt übereilte, hebelnde Ausgleichsbewegungen, welche einen frühzeitigen Verschleiß der Knochen- und Gewebestrukturen nach sich ziehen würden.
Wie kann ich einem Pferd helfen sich zu zentrieren? Wie kann ich Hilfengebung auch wirklich als eine Hilfe verstehen, eine wahre Unterstützung und nicht als Anwendung von Zwang? Kann ich einen Fußgänger, der gerade gedankenvoll am Gehsteig steht über die Straße „zwingen“? Ja ich kann es probieren, aber ich kann je nach Persönlichkeit des Fußgängers damit rechnen, dass ich leichte bis heftige Widerstände ernten werde. Diese Widerstände auf eine Grenzüberschreitung äußern sich beim Pferd durch „fest machen“ und sind eine Reaktion auf zwingende Hilfengebung.
„Fest machen“ kann aber auch ein ursprüngliches Fehlen von muskulärer Kraft bedeuten, wenn man sich vorstellt, wie schwer einem eine Person beim Überqueren der Straße im Arm liegen kann, der die nötige Kraft zum Laufen fehlt. Ähnlich versucht sich ein unzureichend ausgebildetes Reitpferd gegen die durch den Reiter erhöhten Fliehkräften in der Kurve am Zügel auszubalancieren – in diesem Fall braucht es biomechanisch sinnvoll überlegte Hilfsimpulse des Menschen zur schrittweisen Versammlung, um es längerfristig gesund zu erhalten.

Diese hilfegebenden Impulse haben aber nichts mit Gegenzug am Zügel oder Pressdruck am Bein zu tun, sondern mit ganz feinen Balanceverschiebungen im Rahmen der situationsbezogenen Möglichkeiten des Pferds. Begegne ich einem lebendigen Gewebe mit unerwartet festem Druck, wird es sich schützen, verhärten und folglich in der Bewegung blockieren oder irgendwann garnicht mehr reagieren. Gebe ich dem Pferd einen leicht ausführbaren Richtungsimpuls der bei der kleinsten Initiative sogleich wieder aussetzt, wird es die Hilfe als Hilfestellung annehmen. Sofern die vom Reiter vorgeschlagene Richtungsidee auch sinnvoll war wird es schrittweise innere Stärke und Tragkraft ausbilden. Das ist nach einiger Zeit jenes Gefühl an der Wade oder an den Fingern der Zügelhand, wo sich das Pferd federleicht bewegt, weil es innere Stärke entwickelt hat.
Im Sinne der Ganzheitlichkeit einer pferdefreundlichen Ausbildung ist es logisch, dass diese innere muskuläre Stärke auch eng mit dessen „innerer Haltung“ – seinem Selbstbewusstein – in Verbindung steht und dass der Aufbau der einen Kraft auch die andere stärkt und vice versa. Alle vertauensstärkenden Übungen und Impulse zur schrittweisen Versammlung sind in kleinen Schritten aufbereitet, um möglichst viele Erfolgserlebnisse für das Pferd entstehen zu lassen. Lebendigkeit im Geist und in den Bewegungen bedingen sich gegenseitig, weshalb Mut und Eigeninitiative des Pferds immer gefördert werden sollten, sofern sich dadurch keine gefährlichen Situationen für den Menschen ergeben. Diese machen es stolz und strahlend und spiegeln sich augenblicklich in der Bewegungsqualität wieder.
Das alles macht eine Ausbildung zum Wohle des Pferds aus, die das psychische gleichsam wie das körperliche Pferdewohl im Zentrum sieht. Die Reiterkompetenz besteht auch hier dabei, das Pferd in Verhalten und Bewegung lesen zu können, zu wissen welcher Impuls dem Pferd gerade weiterhilft und wieviel davon. Dazu erfordert es den ganzheitlichen Blick, Erfahrungswissen, Einfühlungsvermögen, das Wissen um biomechanische Zusammenhänge sowie die Überzeugung, dass das Pferd in jeder Situation angemessen reagiert und dass es immer an uns liegt, für seine Erfolgserlebnisse und seine Gesundheit zu sorgen.

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