Was in den meisten Reitstunden zu wenig gelehrt wird

Und, musst du jetzt auch gähnen?

Spiegelneuronen sind ein Netz aus Nervenzellen, das es möglich macht, sich in andere Menschen oder Tiere einzufühlen. Empathiefähigkeit ist zu gewissen Maße erlernbar.

und wie es das Leben aller Pferde in Zukunft verbessern würde

Ja, ich denke mir das eh schon seit Monaten, dass da was mit __________ (fülle beliebig ein: dem Heu, dem Sattel, den Zähnen, den Hufen, dem Trainingsansatz, dem Stall.. die Liste ließe sich lange fortführen) nicht passt..“. „Warum haben Sie dann nicht gehandelt?“. „Ja, ich hab extra ExpertIn XY geholt und da wurde mir gesagt dass…“.
Ein Dialog, den vermutlich jeder Pferdemensch aus der jeweils einen oder anderen Rolle kennt und die das daneben angebundene Pferd dazu bringt, einmal tief Luft zu holen, um dem Ausgesprochenen auch einen Kommentar des Betroffenen hinzuzufügen. Warum häufig nicht frühzeitiger zum Wohle des Pferds gehandelt wird, obwohl das nötig Wissen vorhanden wäre, ist eine Überlegung wert.

Ein Beispiel aus der Praxis. Ein gut genährter und nur 4 Jahre alte Noriker, wurde erst wenige Monate zuvor angeritten und zeigt bereits deutliche Atrophien in der Sattellage mit einhergehenden Verspannungen im Rücken. Im Gespräch zeigt sich, dass es hier keinesfalls an fehlender Pferdeliebe der nur 55kg leichten Reiterin zu ihrem Pferd oder finanzieller Fragen liegt, sondern daran, dass sie zu lange auf gegenteilige Meinungen vertraut und zu spät nach dem eigenen Empfinden gehandelt hat. Mein Fazit aus vielen Gesprächen: Manchmal fehlt es an Wissen oder Geld, häufig jedoch auch an Orientierung im hippologischen Meinungsdjungel und dem Vertrauen auf das eigene Gefühl.

Die Gründe dafür liegen vermutlich in einem gewissen Orientierungsmodus, den wir aus Ehrfurcht und Selbstschutz in den allerersten Kontakten mit diesen beeindruckend schönen Tieren einnehmen. Fasziniert möchte man nichts falsch machen und natürlich von diesen großen Tieren auch nicht verletzt werden und hört auf jene, die uns darin einschulen, wie man was mit Pferden zu machen hat. Mit besten Absichten orientieren wir unser Handeln mit Pferden fortan an einer zweibeinigen Kompetenz, während die vierbeinige Kompetenz ungefragt bleibt. So kommt irgendwann mitunter soweit, dass jemand sein verängstigtes Pferd mit spannig Runde um Runde in Kurven hetzt, weil irgendjemand überzeugend erklärt hat, wie sehr das den Rücken lockern würde oder aber weil sich die ReiterIn ab einem gewissen Zeitpunkt selbst zum Kompetenzzentrum erklärt hat.

In der Regel lernen wir im Reitunterricht also von Anbeginn an etwas über das Reiten oder Pferde und zu wenig unser Pferd zu lesen, dieser Einschätzung dann zu vertrauen und danach zu handeln. Spätestens wenn man dann beim ersten eigenen Pferd mit einer ernsthaften Problemstellung (erste Warnsignale des Pferds verhallen häufig ungehört) konfrontiert ist, regnet es eine Vielzahl von Meinungen, Erfahrungen und Ratschlägen, die Ratlosigkeit zurücklassen. Das rührt daher, dass das Säugetier Pferd bereits mit seiner Psyche und Physis allein schon komplex ist. In Kombination mit anderen Faktoren wie Ausrüstungszubehör, Haltungsformen, Ausbildungsmethoden, ReiterIn und vielem mehr, ergibt das eine weitere immense Dimension an Komplexität. Komplexe Systeme haben es so an sich, dass die genaue Zuordnung von Kausalitäten (also was bewirkte was) schwierig ist und so, ungewollt, auch schnell falsche Schlüsse gezogen werden.

Daher kommt es, dass es zu einer Problemstellung im Pferdebereich immer eine Fülle an Ratschlägen gibt: „Da sagt ja jeder was anderes… XY sagt sogar genau das Gegenteil! Wem soll ich nun glauben?“ hört man dann vom entmutigten Gegenüber. Genau das ist der Punkt. Antworten auf komplexe Fragen gibt es viele, doch in vielen Fällen kann allein das Einfühlungsvermögen für das eigene Pferd in Bezug auf sein geistiges und körperliches Wohlbefinden, aus der Vielzahl an Möglichkeiten, Zielführendes von nicht Zielführendem heraussieben. Die Devise „Ausprobieren und Analysieren“ der vorhandenen Lösungsansätze bleibt vielfach unvermeidbar, ebenso wie Irrwege, deren Auswirkungen durch rasches Gegensteuern jedoch gering gehalten werden können.

Als Reiter kommt man also, nebst Sachkenntnis von Pferdeverhalten, vor allem am Vertrauen auf das eigene Einfühlungsvermögen für das eigene Pferd nicht vorbei. Dieses Vertrauen und darauffolgende Handlungsimpulse können gefördert werden, am besten natürlich wenn das schon von Klein auf durch Bezugspersonen (zu denen auch ReitpädagogInnen zählen können) geschieht. Daher sollte jeder Reitunterricht die Empathiefähigkeit Pferden gegenüber gezielt stärken, wie es sich zum Beispiel der VÖR vorgenommen hat.

Reitschulen sind die erste Station jedes späteren Pferdebesitzers und stellen somit die Weichen für die Art des Umgangs mit dem zukünftigen, eigenen Pferd. Wissen und Weiterbildung für PferdebesitzerInnen sind wichtig, denn gesunde, zufriedene Reitpferde sind sehr wohl eine komplexe Sache für sich und bedingen gerade deswegen auch Expertenwissen. Um nach dem Wissenserwerb auch zielführende Entscheidungen zum Wohle des eigenen, individuellen Pferds treffen zu können, ist Einfühlungsvermögen unabdinglich, denn niemand kennt dein Pferd besser als du. Zum Wohle aller zukünftiger Privatpferde sollte daher „Einfühlen in und Handeln für mein Pferd“ in jedem Reitunterricht einen zentralen Platz einnehmen.

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